Ich: Unersättlich?
Der Ressourcenverbrauch steigt und die Ausbeutung der Erde erreicht ungeahnte Maße. Doch was tue ich als Einzelner dagegen? „Zu wenig“ gesteht unser Autor und fragt sich: „Welche Alternativen gibt es“?
von Thomas Bölke
Schokolade. Mehr als ein Wort. Ein Genuss. Und einem dem ich nur schwerlich zu widerstehen vermag. „Teil es Dir ein“ sagt mir der Verstand mit Blick auf den Riegel vor mir. Doch nicht lange. Denn frohlockend schleicht sich der innere Schweinehund an, springt – die Gier siegt. Wie ein Raubtier sich über seine Beute hermacht, so erlege ich meine Schokolade. Was soll ich sagen? Menschen sind nun mal so: Sie nehmen, sie verspeisen. Jetzt und hier. Doch verhalte ich mich nicht im Großen wie im Kleinen? Fresse ich am Ende nicht bloß die Schokolade, sondern die ganze Erde auf? Ja, das tue ich!
Mein Opa würde sich nun verwundert die Augen reiben, nannte er mich in Kindertagen doch immer liebevoll einen Verdörberling. „Junge iss mal was, damit was aus Dir wird“. So dünn wie ich sei, das könne auf Dauer nicht gutgehen. Es scheint als hätte ich seinen Rat ernst genommen. Zu ernst.
Oder verwechsle ich Ernst mit Dummheit? Weiß ich nicht insgeheim, dass ich über meine Verhältnisse lebe? Ein paar Zahlen vor Augen wird mir der ganze Irrsinn bewusst: In meinem Leben habe ich bisher rund 680 Tonnen Rohstoffe verbraucht, also jeden Tag gut 44,4 kg. Das ist der vom Umweltbundesamt berechnete Durchschnittswert in Deutschland. Auch beim Wasser sieht die Bilanz nicht viel besser aus. Hier liegt der tägliche Wasserfußabdruck für jeden Deutschen bei 3300 Litern. Das umfasst nicht nur Wasser zum Trinken und Kochen, sondern auch solches das in Lebensmitteln und anderen Produkten enthalten ist. Umgerechnet sind das 23,5 Badewannen. Wohlgemerkt: Täglich!
Anders ausgedrückt: Ich bin maßlos, ein nimmersatter Verzehrer der Erde – dabei sollte ich es besser wissen.
Denn wenn ich nicht Maß halte, nicht aufhöre, droht mehr als nur Kopfschmerz. Es droht uns die gesamte Biosphäre um die Ohren zu fliegen. Was folgen sind soziale Unruhen, Hungersnöte, Kriege und Epidemien. Laut dem Soziologen Jean Ziegler reden wir hier von einer Opferzahl von 53 Millionen Menschen. Heute schon. Jährlich! Und doch: Ich stehe hier und kann nicht anders, wie ein Gefangener archaischer Triebe. Oder wie mein Zoologie-Professor früher immer zu scherzen pflegte: Wir sind Mammutjäger in der Metro. Ich verbrauche, ich konsumiere. Die Gier – dieses Relikt aus Urzeiten – behält allzu oft die Oberhand.
Es ist fünf vor Zwölf. Nein, schlimmer. Denn der Ressourcenverbrauch steigt – weltweit. Und das immer schneller. Die Folge: Der Weltüberlastungstag, also der Tag an dem die Nachfrage nach natürlichen Ressourcen die Kapazitäten des Planeten übersteigt, rückt jedes Jahr weiter nach vorne. War es 1990 noch der 07. Dezember und 2005 der 20. Oktober, so fällt er 2018 voraussichtlich auf den 01. August. Mit anderen Worten: Für den Rest des Jahres liegt unser Kontostand bei der Natur im Minus.
Aber tue ich nicht bereits mehr als genug? Ich fahre fast immer mit dem Rad, unternehme weder Flugreisen noch buche ich Kreuzfahrten. Kiwis aus Neuseeland oder Auberginen aus China kommen bei uns nicht auf den Tisch, unseren Wohnbereich heizen wir im Winter nur auf 18 °C. Ich dusche selten, während die Waschmaschine allenfalls einmal die Woche läuft. Unsere elektronischen Geräte kaufen wir fast immer gebraucht, Kleidung sowieso. Nebenbei versuchen wir den Plastikmüll auf ein Minimum zu reduzieren, kaufen Obst und Gemüse so weit möglich unverpackt. Ich ernähre mich nahezu vegan, kaufe ausschließlich Bio-Produkte. Weggeworfene Lebensmittel gibt es nur in Ausnahmefällen, denn zur Not haben wir ja immer noch unsere praktischen Allesverwerter: Hund, Katze, Kaninchen. Kurzum: Bei uns kommt fast nichts um.
Dennoch: Alles umsonst? Trotz der Bemühungen um Nachhaltigkeit ist mein ökologischer Fußabdruck immer noch so groß, dass es mehr als anderthalb Erden bräuchte. Das hat mir der Rechner des Global Footprint Network aufgelistet. Mit anderen Worten: Ich bin zu groß für diese Welt. Oder zu gefräßig. Tue ich wirklich so, als hätte ich heimlich eine weitere Erde im Keller versteckt? Scheint so! Ganz schön dämlich oder?
Es muss sich etwas ändern. Auch bei mir. Weniger Verpackungen zum Beispiel. Das Haus energetisch sanieren. Vielleicht ein Kompostklo anschaffen. Und vor allem: Weniger Schokolade. Denn laut dem Water Footprint Network verbraucht ein Kilogramm dieser süßen Versuchung durchschnittlich 17196 Liter pro Kilogramm. Zum Vergleich: Ein Kilogramm Äpfel benötigt lediglich 822 Liter Wasser. Bei meinem Schokoladenverbrauch kommt da also schnell eine erkleckliche Zahl zusammen. Zu viel. Das heißt: Ich muss das eigene Leben „fair“ändern. Heute. Morgen. Nein, besser heute.
Trotz aller guten Vorsätze und Umsätze bleibt die bange Frage: Reicht es? Für mich, für zukünftige Generationen?
Ich sammle bei meinen täglichen Spaziergängen mit unseren Hunden häufig Müll auf. Zigarettenkippen haben es mir dabei besonders angetan. Laut einer Studie der TU Berlin liegen in Berlin auf einem Quadratkilometer rund 2,7 Millionen Kippen. Aus jeder können zwei Milligramm Nikotin in die Böden gespült werden, von den Zusatzstoffen ganz zu schweigen. Als Nichtraucher ärgert man sich. Und fühlt sich machtlos, ob der riesigen Mengen. Weltweit sollen geschätzt 4,5 Billionen Kippen weggeworfen werden. Jedes Jahr.
Ich rette auch regelmäßig Regenwürmer vor dem Vertrocknen oder nehme heimatlos gewordene Jungvögel in Obhut, während ich gleichzeitig die Abholzung des Regenwalds zur Kenntnis nehmen muss. Pro Jahr verschwinden immer noch ca. 10,4 Millionen Hektar Tropenwälder, das sind 14565 Fußballfelder. Ich fühle mich erneut schuldig. Und hilflos.
Mein Gewissen beruhige ich damit am Computer in Fantasiewelten zu flüchten. Hier scheint die Welt noch in Ordnung. Oder zumindest ist klar: Hier gewinnt am Ende immer das Gute. Was nützt es schon, wenn ich brav den Müll trenne und nebenbei unseren Kompost füttere, mich hauptsächlich von frischen Bio-Produkten ernähre, die wenigen Elekto-Geräte nicht im Stand-by-Modus laufen lasse und im Sommer häufig mit unserem Solarbackofen koche. Oder Baumwollbeutel statt Plastiktüten verwende und mich manches mal wundere, dass andere in unserem alles verschlingenden Lebensstil offenbar kein Problem sehen. Wir fressen die Erde und mit ihr die Zukunft der Menschheit auf? Mir doch egal. Das ist bitter – einerseits. Andererseits: Letztlich gehören wir alle zu den Verlierern. Ob Öko oder Turbokapitalist. Jedes Jahr aufs Neue nehmen wir bei der Natur einen Kredit auf, den wir niemals werden zurückzahlen können. Nicht, wenn wir so weitermachen.
Wenn Ausbeutung aber Teil des Systems ist und Wachstum zur alternativlosen Notwendigkeit erklärt wird, dann bleibt nur Resignation. Scheinbar. Denn was bringt es dann, wenn ich nach Alternativen suche – oder sie lebe?
Unser Umsonstladen zum Beispiel. Hier geben viele Menschen Dinge ab, die sie nicht mehr gebrauchen können. Wozu wegwerfen, wenn andere es noch nutzen können? Und tatsächlich findet sich fast immer ein neuer Besitzer oder eine neue Besitzerin. Die einen sind froh etwas los zu sein, andere freuen sich etwas mitnehmen zu können. Der Wegwerfgesellschaft ein Schnippchen geschlagen. Bingo! Aber was nützt das, wenn gleichzeitig Konsum zur Tugend erklärt wird und die Produktion immer neue Rekorde bricht? Laut WTO stieg der Gesamtumfang des Welthandels mit Waren in der Zeit von 1948 bis 2015 auf das knapp 270-fache. Ist das nicht ein Erfolg auf den wir als Menschheit mit Stolz blicken können? Oder sollte uns das im Hinblick auf die Endlichkeit des Planeten Erde zu denken geben?
Angesichts dieser Dimensionen frage ich mich: Rette ich die Welt, wenn ich auf tierische Produkte verzichte, während die globale Fleischproduktion allein von 1961 bis 2000 um mehr als 350 % gestiegen ist und jeder Deutsche im Durchschnitt jährlich immer noch rund 60 kg Fleisch verzehrt? Man fühlt sich hineingeworfen in eine Gesellschaft, die nur eine Richtung kennt: Mehr! In einer öffentlichen Rede fasste US-Präsidentschaftskandidat Robert Kennedy schon 1968 seine Kritik am ewigen Wachstum so zusammen: „Das Brutto-Inlands-Produkt erfasst alles, nur nicht das, was das Leben lebenswert macht“. Was also tun: Aussteigen aus dem System? In die Wildnis gehen? Oder sich mitten hineinbegeben in die Konsumgesellschaft und einfach mitmachen. Ich shoppe also bin ich glücklich? Es scheint so einfach zu sein.
Oder bleibt am Ende nur Zynismus? Nach mir die Sintflut. Ich will glücklich sein: Hier und jetzt! Und außerdem: „Wird schon alles nicht so schlimm werden“ sagt ein Teil von mir. „Es wird noch viel schlimmer“ sagt der andere – und flieht erneut in virtuelle Parallelwelten. Internet. Strom. Da war doch was: Im Jahr 2020, so schätzen Wissenschaftler, werden die Internet- und Telekommunikationstechnik in Deutschland bereits ein Fünftel des gesamten Stromverbrauchs auf sich vereinen. In anderen Industrieländern sieht es ähnlich aus. Was den CO2-Austoss betrifft, haben wir laut Bundesumweltministerium schon 2007 das Emissionsniveau des Flugverkehrs erreicht. Tendenz steigend. Mit anderen Worten: Ich bin auch virtuell unersättlich. Aber schreckt mich das wirklich?
Die Schrecken der Zukunft schrecken mich nur teilweise. Zu groß die Dimensionen. Zu wenig greifbar die Gefahr. Zu theoretisch die Zahlen.
Wenn ich lese, dass die 500 größten transnationalen Konzerne nach Weltbankstatistik im letzten Jahr 52,8 Prozent des Weltsozialproduktes kontrollierten, dann ist das einerseits kaum vorstellbar. Und doch habe ich eine Ahnung: Hier wird mit ungleichen Waffen gekämpft. Wenn aber „die da oben“ weiter am Fetisch des ewigen Wachstums festhalten, dann ist es an uns, es anders zu machen. Selbstermächtigung als Leitmotiv. Oder wie der Sozialwissenschaftler Julian Rappaport es nannte: Empowerment.
Die Zeit der Ausreden ist vorbei – auch für mich. Nun heißt es Verantwortung übernehmen. Für mich selbst, für meine Umwelt – im Kleinen wie im Großen. Anders wird es nicht funktionieren.
Der Kulturkritiker Ivan Illich prägte den Begriff der „konvivialen“ Technik, die dazu dienen soll, ein selbstbestimmtes und ressourcenschonendes menschliches Zusammenleben zu ermöglichen und uns aus entfremdeten, destruktiven Strukturen zu befreien. Illych hatte zwar vor allem die Technologie und ihre negativen Folgen im Blick, aber das Prinzip lässt sich auch auf andere Bereiche anwenden.
Ein Beispiel: Im nordenglischen Todmorden haben Pam Warhurst und Mary Clear auf der Suche nach Veränderungen 2008 das Projekt der „Essbaren Stadt“ ins Leben gerufen. Es wurden dabei keine Genehmigungen der Behörden eingeholt oder lange Diskussionen geführt, nein, ihre Sprache bestand aus Handlungen. Kurzerhand wurde ein als Hundeklo genutzter Grünstreifen in ein Gemüsebeet verwandelt. Doch das war erst der Anfang. Die Idee entwickelte eine solche Schubkraft, dass die Beete schließlich Krankenhäuser, Schulen und sogar die Polizei eroberten. Die „Essbare Stadt“ ist dabei aber nicht bloßer Selbstzweck, sondern hat dafür gesorgt, dass die Beteiligten ihre Selbstwirksamkeit wiederentdeckten. Veränderung ist möglich. Und vor allem: Alle können mitreden, jeder kann mitmachen, unabhängig von Herkunft oder Bildung. Das Motto der Bewegung lautet entsprechend: „When you eat, you´re in.“ (Wenn Du isst, bist Du dabei). Inzwischen gibt es allein in England 122 Initiativen, weltweit sind es 700.
Wir für unseren Teil haben seit letztem Jahr angefangen den Garten samt Acker zu bestellen. Ein bunter Reigen aus Kartoffeln, Zucchini, Bohnen, Erbsen und Mangold wächst hier auf rund 200 Quadratmetern. Leider droht die Ernte eher mager zu werden, sprich: Wir üben noch. Aber viel nachhaltiger lassen sich Lebensmittel kaum produzieren, zumal wir auf jegliche Pestizide verzichten. Vom Acker direkt auf den Tisch – ist das nicht wunderbar? Natürlich hat nicht jeder die Möglichkeit Lebensmittel im eigenen Garten anzubauen, aber wie wir schon gesehen haben, kennt Selbstermächtigung und mit ihr Nachhaltigkeit viele Wege. Ein weiteres Beispiel vor unserer Haustür: Im Nachbarort hat ein Biohof das Projekt „Solidarische Landwirtschaft“ gestartet. Das Ziel: Sich mit anderen Verbraucher_innen zusammentun, um regional hochwertige Lebensmittel anzubauen. Solidarisierung und Kooperation im Kleinen also, ist das die alternativ-alternativlose Zukunft? Auf diese Weise gibt es keine langen Transportwege, keine Verpackungen und nebenbei können wir uns mit Gleichgesinnten vernetzen.
Solidarität ist das Mittel alles zu können. Heute. Morgen.
Auch im Hinblick auf den eigenen Konsum, habe ich im Austausch mit den anderen viel lernen können. Anstatt mich zu fragen: „Was kaufe ich heute?“ habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, einfach mal die Perspektive umzukehren: Was brauche ich wirklich zum Leben? Und was kann ich weglassen? In aller Regel stelle ich schnell fest: Die meisten Dinge benötige ich gar nicht. Noch einmal zurück zum Garten: Vor kurzem habe ich die letzten Erdbeeren gesammelt. Die Ausbeute war zwar überschaubar, der Geschmack aber unübertroffen. Aus eigenen Anbau, lecker – das schmeckt gleich doppelt so gut. Am selben Tag lief mir wieder ganz zufällig eine Schokolade über den Weg. Innerlich frohlockend zuckte es bereits in meinen Händen und mein Kleinhirn funkte „Zugreifen! Jetzt!“. Dann ließ mich etwas innehalten. Kurz nur, denn meine Hände griffen schließlich doch zu und Sekunden später war es soweit. Auf der Schokolade prangte ein Zettel: „Für später“.