Pazifismus in Zeiten des Krieges

In den letzten Monaten hat sich unser Leben erneut auf den Kopf gestellt. Krise folgt auf Krise und eine gewisse Hilflosigkeit macht sich bei mir breit. Zudem bin ich erschrocken, wie einfach es scheint, eine breite Masse von Menschen zu beeinflussen und im 21. Jahrhundert für Krieg zu begeistern.
Pazifismus müsse man sich leisten können. Pazifismus in Zeiten des Krieges sei doch realitätsfern. Nein, Pazifismus sei geradezu dumm. Das und mehr muss ich mir anhören. Aber ist es vielleicht umgekehrt? Krieg können wir uns nicht leisten. Krieg gedeiht nur da, wo Realität wieder und wieder verbogen wird. Krieg ist das Dümmste was uns Menschen passieren kann.
Wie kann sich Pazifismus in einer Situation wie dieser bewähren? Ja, machen wir die Herzen ganz weit für die Kriegsopfer in der Ukraine und überall sonst auf der Welt. Ihnen gilt unser Mitgefühl und unsere Solidarität. Für Putins Angriffskrieg gibt es einfach keine Entschuldigung, wenngleich der Westen gerne wegsieht, wenn es um die Vorgeschichte geht. Kein Konflikt fällt einfach so vom Himmel. In den Spiegel der eigenen Verfehlungen zu blicken kann ein erster Weg zu Erkenntnis sein. Und Verstehen.
Aber warum ist gerade Verstehen so negativ konnotiert, wo doch einzig Verstehen in der Lage wäre Brücken zum anderen zu bauen. Stattdessen werden die Gräben breiter. Und tiefer. Die Gegenseite zu verstehen heißt ja noch lange nicht, ihre Handlungen zu billigen oder gar gutzuheißen. Der von Putin begonnene Krieg ist ethisch ganz klar falsch. Punkt.
Dennoch müssen wir uns immer wieder die Frage stellen: Sollten wir uns durch Lieferung von schweren Waffen tiefer in diesen Krieg hineinziehen lassen und somit weiter an der Eskalationsschraube drehen? Scheint die Warnung vor einem Dritten Weltkrieg wirklich so überzogen? Ich dachte immer unserer Regierung sei es verboten Waffen in Kriegsgebiete zu liefern, aber sie tut es trotzdem. Wie kann das sein?
Natürlich wäre es vermessen, den Ukrainern das Recht auf so etwas wie Selbstverteidigung abzusprechen. Dergleichen steht mir nicht zu. Aber was ist mit zivilen Mitteln des Widerstands? Aus eigener Kraft kann die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen. Aber was ändern Waffenlieferungen aus dem Westen daran eigentlich? Könnte die Ukraine das Blatt doch wenden? Oder würde das Töten und Sterben nur immer weiter gehen? Jeder Tag, den der Krieg weiter läuft ist ein schlechter Tag, jeder Tote ein Toter zu viel.
Selenskyj ist sehr geschickt darin, unser schlechtes Gewissen als schockierte Zuschauer für seine Ziele einzuspannen. Es scheint Teil der offiziellen ukrainischen Militärdoktrin zu sein, dass Militär und Bevölkerung jeder russischen Aggression solange trotzen sollen, bis die NATO eingreift und das Kriegsgeschehen sich wendet. Bis die NATO eingreift? Wirklich?
Auf dieses Drehbuch dürfen wir uns auf keinen Fall einlassen. Aber ist angesichts der nahezu einhelligen Tonlage in den Medien eine Deeskalation überhaupt gewollt? Glauben wir wirklich durch weitere Waffenlieferungen würde Putin einknicken? Oder könnte es nicht genau umgekehrt sein: Mehr Druck erzeugt mehr Gegendruck? Wollen wir den Kipp-Punkt an dem Putin sich zu einer „starken“ Antwort gezwungen sieht wirklich kennenlernen?
All das scheint keine Hysterie zu sein, wenn selbst Militärs wie der Brigadegeneral a.D. Erich Vad dieselbe Gefahr sehen. Erinnern wir uns nur daran, wie grundfalsch der Westen einst die Lage in Afghanistan beurteilt hat. Oder in Syrien. Oder im Irak. Und jetzt sollen wir allen Ernstes sicher genug wissen, wie weit man gegenüber Putin gehen kann? Nein, danke! Krieg ist Chaos. Krieg erzeugt unendlich viel Leid. Krieg bringt Tod.
Stattdessen sollten wir über alle Grenzen hinweg gemeinsam den Frieden erneuern, Gespräche führen, den Ausgleich suchen. Gerade mit Russland. Und: Wir müssen uns für Abrüstung einsetzen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Haben wir Mut, den Wunsch nach Frieden deutlich auszusprechen. Fühlen wir den Entscheidungsträgern immer wieder auf den Zahn. Bleiben wir kritisch. Haken wir nach. Denn wie sagte Willy Brandt dereinst doch so trefflich: Frieden mag nicht alles sein, aber ohne Frieden ist alles nichts.